Antisemitismus in Belgien
- Rassistische Merkmale
- Glaube oder Weltanschauung
Antisemitismus ist eine Form von Diskriminierung oder Hass, die sich gegen Menschen jüdischer Abstammung richtet. Man spricht auch von Judenhass.
Was ist Antisemitismus?
Antisemitismus lässt sich unterschiedlich definieren. So gibt es mehrere Arbeitsdefinitionen:
Open IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance)
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Nach wie vor gibt es Befürworter und Gegner dieser Definition. Dagegen spricht unter anderem, dass Kritik an der Politik des israelischen Staates nach dieser Definition als Antisemitismus betrachtet werden kann.
Open JDA (Jerusalem Declaration on Antisemitism)
„Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).“ Diese Definition entspricht eher dem belgischen Rechtsrahmen.
Open Nexus-Dokument, verfasst von einer Gruppe Akademiker
„Antisemitismus besteht aus antijüdischen Überzeugungen, Einstellungen, Handlungen oder systemischen Bedingungen. Er umfasst negative Überzeugungen und Gefühle gegenüber Juden, feindseliges Verhalten gegenüber Juden (weil sie Juden sind) und Bedingungen, die Juden diskriminieren und ihre Fähigkeit zur gleichberechtigten Teilhabe am politischen, religiösen, kulturellen, wirtschaftlichen oder sozialen Leben erheblich beeinträchtigen.
Als Verkörperung kollektiven jüdischen Zusammenhalts und Handelns ist Israel ein Magnet und Zielscheibe für antisemitisches Verhalten. Aus diesem Grund ist es für Juden und Jüdinnen und ihre Mitstreiter wichtig zu verstehen, was in Zusammenhang mit Israel antisemitisch und nicht antisemitisch ist.“ Genau wie die IHRA-Definition wirft diese Definition Fragen auf.
Open ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz)
Die ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz) des Europarats hat 2021 eine überarbeitete Fassung der Politikempfehlung Nr. 9 zur Verhinderung und Bekämpfung von Antisemitismus herausgebracht. Die Empfehlung enthält keine ausdrückliche Definition, sondern legt den größeren Kontext dar. Damit hilft sie, die verschiedenen Formen von Antisemitismus besser zu verstehen.
Welchen belgischen Rechtsrahmen gibt es gegen antisemitische Straftaten?
Unia wählt bei der Fallbearbeitung einen juristischen Ansatz. Hierbei legen wir Folgendes zugrunde:
Strafrecht
Bei Straftaten in Zusammenhang mit Antisemitismus basieren wir uns auf eine juristische Definition im belgischen Strafrecht:
- Verbot der Anstiftung zu Diskriminierung, Segregation, Hass oder Gewalt aufgrund der Abstammung. Das Merkmal „Abstammung“ wird vor allem in Zusammenhang mit jüdischen Menschen genutzt.
- Hassmotiv bei Hassverbrechen: Für bestimmte Verbrechen sieht das belgische Strafgesetzbuch ein erhöhtes Strafmaß vor, wenn das Verbrechen aus Hass, Verachtung oder Feindseligkeit gegenüber dem Opfer aufgrund dessen Abstammung verübt wurde. Ende 2022 wurde ein neues Gesetz eingeführt, dem zufolge der Richter bei der Festlegung des Strafmaßes in allen anderen Verbrechenssachen berücksichtigen muss, ob ein solches Motiv vorliegt, ohne dass er über die Höchststrafe hinausgehen darf.
- Verbot der Leugnung, Verharmlosung, Rechtfertigung oder Billigung des Völkermordes, den das deutsche nationalsozialistische Regime während des Zweiten Weltkriegs begangen hat (Gesetz vom 23. März 1995). Dies ist das sogenannte Negationismusgesetz.
Antirassismusgesetz
Das Antirassismusgesetz enthält Bestimmungen, die verschiedene Formen von Diskriminierung zivilrechtlich unter Strafe stellen. In dieser Gesetzgebung ist die „Abstammung“ als geschütztes Merkmal aufgeführt.. In der Praxis geht es dabei oft um die jüdische Abstammung.
Antidiskriminierungsgesetzgebung
Die föderale Antidiskriminierungsgesetzgebung enthält noch zahlreiche weitere geschützte Merkmale. Das Merkmal „Glaube oder Weltanschauung“ kann ebenfalls zugrunde gelegt werden, wenn sich die Straftaten gegen Personen aufgrund ihres jüdischen Glaubens oder gegen ihre Gebetsstätten (Synagogen) richten. Dies ist eine Form von Antisemitismus, die auch als Judenhass oder seltener als Judeophobie bezeichnet wird.
Seit Inkrafttreten der Gesetze vom 6. Dezember 2022 und vom 28. Juni 2023 sind Diskriminierung aufgrund eines vermeintlichen Merkmals und Diskriminierung durch Assoziation ebenfalls gesetzlich anerkannt. Dieser Rechtsrahmen ist anwendbar, ganz gleich, ob es online oder offline zu Antisemitismus kommt.
Wie bearbeitet Unia Meldungen wegen Antisemitismus?
In Fällen von Antisemitismus unternehmen wir folgende Schritte:
- Unia prüft jede eingehende Meldung. Als Erstes stellen wir fest, ob wir befugt sind, die Meldung zu bearbeiten.
- Ist Unia nicht befugt? Dann verweisen wir die Melder an eine spezialisierte Organisation weiter.
- Ist Unia befugt und wird um Beistand gebeten? Dann eröffnen wir einen Fall und tragen gemeinsam mit dem Melder alle erforderlichen Informationen zusammen, um den Fall bearbeiten zu können. Wir bringen in Erfahrung, was genau erwartet wird, und erklären, welche weiteren Schritte möglich sind.
- Opfern von strafrechtlich relevanten Taten empfehlen wir, unbedingt auch Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Dies ist wichtig, denn eine Meldung bei Unia kann in keinem Fall eine Anzeige bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft ersetzen.
- Unia kann auch auf eigene Initiative einen Fall eröffnen, ohne dass eine individuelle Meldung vorangegangen sein muss. Denken wir beispielsweise an Ereignisse in den Medien, die einen Fall von Diskriminierung, Hassrede oder Hassverbrechen vermuten lassen. Wenn es ein individuelles Opfer oder mehrere individuelle Opfer gibt, versuchen wir, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, doch bearbeitet Unia auch Fälle, in denen das Opfer oder die Opfer nicht identifiziert oder identifizierbar sind.
- Sobald wir einen Fall eröffnen, bieten wir Beratung zu der betreffenden Situation an. Wenn wir vermuten, dass es sich tatsächlich um eine Diskriminierung oder ein Hassverbrechen im Sinne des Gesetzes handelt, schlagen wir verschiedene Optionen vor:
- In Diskriminierungsfällen suchen wir erst einmal eine Lösung auf dem Verhandlungs- oder Schlichtungsweg.
- Bei besonders schwerwiegenden Taten (zum Beispiel Hassverbrechen) oder dann, wenn kein Dialog möglich ist, kann Unia gerichtliche Schritte unternehmen. Dies geschieht selten (in 1 % der Fälle) und nur mit Einwilligung des Opfers. Unia kann selbst die Initiative ergreifen, ein Gerichtsverfahren anzustrengen oder einem zivil- oder strafrechtlichen Verfahren als (Zivil-)Partei beizutreten. In Fällen antisemitischer Straftaten sind wir diesen Weg in den letzten Jahren 15 Mal gegangen. Wir können bei Gerichtsverfahren auch beratend zur Seite stehen, ohne selbst Verfahrenspartei zu sein.
- In manchen Fällen entscheiden wir uns auch für andere Ansätze:
- Warnung und Verweis auf geltendes Recht zu Händen der Person oder Organisation, gegen die wir Meldung erhalten haben
- offizielle Stellungnahme gegenüber den betroffenen Behörden
- Weiterverweisung an einen lokalen oder spezialisierten Partner (Gewerkschaften, einschlägige Organisationen, Sozialinspektion, Medienrat ...). Mit einigen von ihnen haben wir ein Zusammenarbeitsabkommen geschlossen.
Wichtiger Hinweis: Es kann vorkommen, dass sich gewisse Situationen unrecht anfühlen oder manche Taten als antisemitisch zu betrachten sind, ohne dass sie gegen die Antidiskriminierungsgesetzgebung verstoßen. Da wir gesetzlich aber nur in diesem Rechtsrahmen handeln dürfen, können wir in einem solchen Fall keine weiteren Schritte unternehmen.
Diskriminierung melden
Fühlen Sie sich diskriminiert oder sind Sie Zeuge von Diskriminierung? Melden Sie Diskriminierungen bitte online oder telefonisch unter 0800 12 800 (werktags von 9.30 bis 13.00 Uhr).
Welche Empfehlungen gibt Unia, wenn es um Antisemitismus geht?
Als Vorbeugung gegen Antisemitismus hat Unia 10 Empfehlungen formuliert:
- Dauerhaft in den neuen interföderalen Koordinationsmechanismus zur Bekämpfung von Antisemitismus investieren, der am 15. Januar 2024 erstmals zusammengekommen ist.
- Die Registrierung und Berichterstattung bei Polizeidiensten und bei der Staatsanwaltschaft verbessern. Derzeit ist es praktisch unmöglich, zuverlässig Klage wegen Antisemitismus einzureichen, weil die Fälle nicht klar registriert werden.
- Antisemitismus in die Aktionspläne gegen Rassismus aufnehmen. Unia betrachtet Antisemitismus als eine Sonderform des Rassismus, mit spezifischen Merkmalen. Daher gehört der Kampf gegen Antisemitismus auch in die Aktionspläne gegen Rassismus.
- Die weitere Erforschung des Antisemitismus in Belgien sicherstellen. So erfahren wir Näheres darüber, was zur wirksamen Bekämpfung von Antisemitismus erforderlich ist, sowohl präventiv als auch korrektiv.
- Auf Wissen und Bildung setzen, wenn es um Antisemitismus und den Holocaust geht. Es scheinen nämlich Wissenslücken zu bestehen, was den heutigen Antisemitismus und die Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg betrifft.
- Eine allgemeine Klausel zur Anhebung des Strafmaßes für Taten mit Diskriminierungs- oder Hassmotiv einführen. Bisher besteht nur bei ganz bestimmten Straftaten die Möglichkeit, ein (antisemitisches) Hassmotiv zu berücksichtigen und gegebenenfalls das Strafmaß zu erhöhen.
- Die Meldebereitschaft bei Opfern steigern. Opfer antisemitischer Straftaten erstatten bisher noch zu selten Anzeige bei der Polizei und Staatsanwaltschaft oder bei Gleichbehandlungsstellen. So bleibt diese Problematik eine Grauzone.
- Die Anwendung des Rundschreibens COL13/2013 verbessern.
- In alternative Maßnahmen investieren. Gemeint sind beispielsweise ein Sensibilisierungs- und Schulungsprogramm für die Täter von Diskriminierungsstraftaten (Diskriminierung, Hassrede – u. a. Leugnung des Holocaust – oder Hassverbrechen), wie es dies in der Kazerne Dossin gibt.
- Die spezifischen Aspekte der Opfererfahrung im Fall von (antisemitischen) Hassverbrechen berücksichtigen. Unia erachtet es als notwendig, Opfern antisemitischer Hassverbrechen spezialisierte Hilfe zu bieten.
Welche Zahlen liegen zum Antisemitismus in Belgien vor?
Die Fälle aus den Jahren 2018-2022 zeigen, dass die Diskriminierungsrate sehr niedrig und die Rate der Hassreden und Hassverbrechen sehr hoch ist. Bei Rassismus oder anderen geschützten Merkmalen ist genau das Gegenteil der Fall.
Negationismus bedeutet, dass der vom deutschen nationalsozialistischen Regime während des Zweiten Weltkriegs begangene Völkermord öffentlich geleugnet, grob verharmlost, versucht wird, ihn zu rechtfertigen oder zu billigen.
75%
20%
5%
- Rassistische Merkmale
- Glaube oder Weltanschauung