Rassismus verstehen

Rassismus ist ein komplexer Begriff. Auf dieser Seite finden Sie einige Definitionen und die nötigen Hintergrundinformationen, um Rassismus besser zu verstehen.

Einige Begriffsbestimmungen

  • Rasse: Laut Genetik gibt es nur eine einzige Menschenrasse. Bestimmte Ideologien haben jedoch den individuellen Menschen nach äußerlichen Merkmalen klassifiziert, wie Hautfarbe („weiße Rasse“, „schwarze Rasse“ usw.) oder Schädelform, und damit eine Rangordnung unter den Menschen eingeführt. Im Antirassismusgesetz vom 30. Juli 1981 hat der belgische Gesetzgeber diesen Begriff mit dem Vorsatz „angeblich“ übernommen („angebliche Rasse“). Unia verwendet den Begriff in Anführungszeichen (angebliche „Rasse“ oder sogenannte „Rasse“).
  • Rassismus: diese Ideologie impliziert eine hierarchische Anordnung von Gruppen von Individuen, um Ungleichheit zwischen der dominanten Gruppe und anderen zu erzeugen. Es muss ein vorheriges Herrschaftsverhältnis einer Gruppe über andere bestehen.
  • Rassendiskriminierung: Laut Internationalem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (New York, 1965) ist Rassendiskriminierung "jede Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder nationaler oder ethnischer Herkunft, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass die Anerkennung, der Genuss oder die gleichberechtigte Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens zunichte gemacht oder beeinträchtigt wird".
  • Unterschied zwischen individuellem und institutionellem Rassismus 
    • Der sogenannte individuelle Rassismus findet zwischen Individuen statt. Hierunter fallen hasserfüllte Äußerungen oder Handlungen gegen einzelne Personen aufgrund ihrer Hautfarbe, Abstammung, ethnischen oder nationalen Herkunft oder Staatsangehörigkeit, weil die Täter Vorurteile haben oder ihre vermeintliche Überlegenheit in mehr oder weniger expliziten Stereotypen, Gefühlen oder Ideologien kultivieren.
    • Institutioneller (oder struktureller) Rassismus geht von der Gesellschaft, von Institutionen und vom Staat aus. Er äußert sich in Diskriminierung oder stark geschichteten Ungleichheiten (zum Beispiel nach Herkunft). Er ist nicht so leicht fassbar, sondern zeigt sich eher an den Folgen, während die eigentlichen Mechanismen oft diffus bleiben. Einige Staaten haben explizit rassistische Bestimmungen in ihre Verfassung oder Gesetze aufgenommen. In einem solchen Fall reden wir von Staatsrassismus. Beispiele sind das Apartheidssystem, das bis 1991 in Südafrika bestand, oder die sogenannten Jim-Crow-Gesetze in den Südstaaten der USA.
  • White Fragility und White Privilege
    • White Privilege: Dieses Konzept stammt aus den USA und verweist auf die Vorteile, die Weiße als Mehrheitsgruppe einer Gesellschaft genießen, in der sie sozial und wirtschaftlich eine privilegierte Stellung einnehmen. Diese Privilegien gelten als unbewusste Norm und stellen die „Normalität“ dar. Ein Beispiel für White Privilege: Ich kann in einer Polemik einen umstrittenen Standpunkt einnehmen, ohne dass dieser auf meine Abstammung zurückgeführt wird. Die Zugehörigkeit zur dominanten Gruppe schließt aber nicht aus, dass bestimmte Randgruppen dieser Bevölkerungsgruppe mit ähnlichen sozialwirtschaftlichen Nachteilen leben wie bestimmte Minderheitsgruppen.
    • White Fragility verweist auf die Überempfindlichkeit von Weißen, wenn sie des Rassismus beschuldigt werden. Fordert jemand sie auf, über ihr Verhalten und über die Frage nachzudenken, ob nicht gerade ihr Verhalten den strukturellen Rassismus (und damit ihre Vorteile) aufrecht erhält, deuten sie bereits die Frage an sich als reine Schuldzuweisung durch den individuellen Rassismus des anderen.

Verschiedene Formen von Rassismus: Äußerungen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in gleich welcher Form und gegen gleich welche Person oder Gruppe gilt es zu bekämpfen. Die geschützten Merkmale, die im Antirassismusgesetz verankert sind, werden neutral ausgelegt. Der belgische Gesetzgeber und Unia haben sich daher für einen inklusiven Ansatz bei der Prüfung von Einzelfällen entschieden. Dies gilt beispielsweise für das geschützte Merkmal „Hautfarbe“. Hierdurch wird der Begriff „Anti-white Racism“ (oder „Reverse Racism“), der auf eine angebliche Benachteiligung der dominanten Mehrheitsgruppe einer Gesellschaft verweist, irrelevant.

Rassismus kann unterschiedliche Bezeichnungen haben, wenn er sich gegen eine bestimmte Minderheitsgruppe oder einzelne Personen dieser Gruppe richtet.

Die allgemeine, undifferenzierte Herangehensweise an Rassismus trägt den spezifischen Merkmalen der verschiedenen Formen von Rassismus nicht genügend Rechnung.

So ist es sinnvoll, zwischen folgenden Formen von Rassismus zu unterscheiden:

  • Antisemitismus: basiert auf dem Merkmal „Abstammung“. Gemeint ist Hass auf oder Verachtung von Juden oder vermeintlichen Juden, insbesondere in Form von abschätzigen, entwürdigenden Stereotypen oder Verschwörungstheorien. Anmerkung: Die Rechtsprechung stellt die Leugnung oder Gutheißung u. a. der Shoah (Holocaust) mit Antisemitismus gleich (siehe Negationismusgesetz vom 23. März 1995).
  • Islamfeindlichkeit (auch antimuslimischer Rassismus genannt): basiert derzeit sowohl auf dem Merkmal „nationale oder ethnische Herkunft“ als auch auf dem Merkmal „Glaube“ (Islam), sodass oftmals sowohl das Antirassismus- als auch das Antidiskriminierungsgesetz angeführt werden kann. Gemeint ist die Verachtung von, die Feindseligkeit gegenüber oder der Hass auf Personen arabischer, türkischer oder nordafrikanischer Abstammung oder Personen, von denen angenommen wird, dass sie aus diesen Gebieten stammen. Dies ist nicht mit dem Recht auf Kritik an Religionen gleichzustellen. Im belgischen Strafgesetzbuch kommt der Begriff Gotteslästerung nämlich nicht vor.
  • Rassismus gegen Schwarze Menschen: bezeichnet Rassismus aufgrund des Merkmals „Hautfarbe“ gegen Menschen, die vermeintlich aus Afrika stammen oder kommen. Im Deutschen schreibt man das Adjektiv „Schwarz“ in dieser Bedeutung mit Großbuchstaben, um klarzustellen, dass nicht die Hautfarbe gemeint ist, sondern die Selbstbezeichnung der Betroffenen („Black People“, „Schwarze Menschen“), die sich aufgrund ihrer Kultur oder ähnlicher Erfahrungen mit Rassismus als Gruppe empfinden. Die in Belgien, im Französischen oder Niederländischen benutzte Bezeichnung „Afrophobie“ ist im Deutschen unüblich. Gemeint ist die Verachtung von, die Feindseligkeit gegenüber oder der Hass auf Menschen afrikanischer Abstammung in Form eines Überlegenheitsgefühls wegen der Sklaverei- und Kolonialgeschichte, aus der Stereotypen und Vorurteile hervorgegangen sind.
  • Antiziganismus: basiert auf dem Merkmal „ethnische Abstammung“. Gemeint ist die Verachtung von, die Feindseligkeit gegenüber oder der Hass auf Roma und Fahrende, was sich in Vorurteilen äußert und  sich auf Unkenntnis von und dem Misstrauen gegenüber einer bestimmten Kultur und Lebensart basiert.
  • Antiasiatischer Rassismus: basiert auf dem Merkmal „nationale Herkunft“. Gemeint ist die Verachtung von, die Feindseligkeit gegenüber oder der Hass auf Menschen asiatischer oder vermeintlich asiatischer Herkunft. Dies äußert sich in Vorurteilen und abschätzigen Äußerungen. Antiasiatischer Rassismus hat seinen Ursprung ebenfalls in der Kolonialgeschichte. Phänomene wie „Yellow Fever“ (sexuelle Bevorzugung asiatischer Frauen) sind Teil hiervon.
  • Fremdenfeindlichkeit (auch Xenophobie genannt): ist die Verachtung von, die Feindseligkeit gegenüber oder der Hass auf Ausländer oder „Fremde“, insbesondere in Zusammenhang mit Flüchtlingen, Asylbewerben und Migranten.

​Hinweis: Der gemeinsame Nenner dieser Phänomene ist Verachtung, Feindseligkeit oder Hass. Demzufolge ist eine Diskriminierung im engeren Sinn (unberechtigterweise ungleiche Behandlung der Menschen) feststellbar und verboten, ohne dass konkret Verachtung, Feindseligkeit oder Hass nachgewiesen werden muss. In einem solchen Fall geht es um Rassendiskriminierung, aber nicht um Rassismus im engeren Sinn (wie Rassismus gegen Schwarze Menschen oder antiasiatischen Rassismus); um Diskriminierung aufgrund des Glaubens, aber nicht zwangsläufig um Islamfeindlichkeit; um Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder nationalen Herkunft, aber nicht um Fremdenfeindlichkeit, usw.

Ebenso kann es um Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gehen, selbst wenn die Handlung an sich nicht als homophob oder schwulenfeindlich gilt.

Nähere Informationen zu diesen Konzepten finden Sie im Diskriminierungslexikon

Kurzer geschichtlicher Überblick über Rassismus in Europa

Rassismus hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, und die Mittel zu seiner Bekämpfung sind vielfältiger geworden. Diese Zeitleiste gibt Ihnen einen kurzen Überblick über diese Entwicklung in den letzten Jahrhunderten.

Periode

„Meilensteine“ der Rassismusgeschichte in Europa

Reaktionen aus der Gesellschaft

16. und 17. Jh.

Eine im Wesentlichen christlich-religiöse Sicht der Welt

  • Sklaverei zum wirtschaftlichen Profit und mit dem Segen der Kirche, weil es in der Bibel akzeptiert ist.
  • Überzeugung, dass Europäer und ihre Religion überlegen sind, Zwangsbekehrungen

18. Jh.

Eine von „Rassenteilung“ geprägte Sicht der Welt

  • Pseudowissenschaftliche Einteilung der Menschen und Hierarchisierung aufgrund von Kultur und „Rasse“ (Hautfarbe)
  • Hochkonjunktur der Sklaverei 

19. Jh.

Wissenschaftlicher Rassismus

  • Pseudowissenschaftliche Disziplinen: über die Ungleichheit der Menschenrassen (Gobineau); das Gesetz des Stärkeren (Spencer)
  • Aufkommen des Antisemitismus (Dreyfus-Affäre, Protokolle der Weisen von Zion)
  • Kolonialismus

20. Jh.

Zweiter Weltkrieg

  • Nationalsozialismus. Völkermord an den europäischen Juden (Shoah/Holocaust) und Roma (Porajmos)

Nach dem Zweiten Weltkrieg

  • Verwerfung des wissenschaftlichen Rassismus
  • Dekolonisation

1948

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

  • „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“

50er und 60er Jahre

Untergang der Kolonialreiche, teilweise unter gewalttätigen Auseinandersetzungen

1965

Internationales Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

  • Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Rassendiskriminierung in all ihren Formen zu verbieten und zu verbannen (Artikel 5).

80er Jahre

Entstehung des kulturellen Rassismus

  • Kulturen nicht vermischen, die Unterschiede zwischen den Menschen sind zu groß
  • Wiederaufflammen der Überlegenheitsidee in Neonazi-Gruppen, erste rassistische und antisemitische Straftaten, Völkermordleugnung (Faurisson), Toleranzschwelle in den Gemeinden

1981

Das belgische Gesetz vom 30. Juli 1981 gegen bestimmte Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit tritt in Kraft (im Zuge der UN-Konvention)

1993

Beginn des antimuslimischen Rassismus (Islamfeindlichkeit)

Gründung von Unia

1995

Gesetz gegen Negationismus (Völkermordleugnung)

  • Verbot der groben Verharmlosung, Leugnung, Rechtfertigung oder Gutheißung des Völkermords durch das Nazi-Regime

1999

Abänderung von Artikel 150 der Verfassung

  • Strafgerichtliche Befassung (Korrektionalisierung) mit rassistisch oder fremdenfeindlich motivierten Pressedelikten 

21. Jh.

Aufkommen des Rechtsextremismus

  • Rechtsextreme und fremdenfeindliche Parteien gewinnen in ganz Europa an Bedeutung.
  • Angriffe auf Moscheen, Synagogen, Asylbewerberheime
  • Explosionsartiger Anstieg von Hassbotschaften in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken

Neue Formen des Antirassismus

  • Black Lives Matter
  • Forderungen nach der Dekolonisierung des öffentlichen Raums