Covid-19 und Menschenrechte in Pflegeheimen: Wie passt das zusammen?

5 Oktober 2021
Diskriminierungsgrund: AlterWeitere Diskriminierungsgrunde

Anlässlich des Internationalen Tages der älteren Menschen am 1. Oktober präsentiert Unia die Ergebnisse einer exklusiven Studie über die Auswirkungen der Pandemie auf die Menschenrechte von Senioren, die in Pflegeheimen leben. Diese zeigt, dass ihre Rechte nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

In Belgien leben 8,5 % der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und darüber in stationären Pflegeeinrichtungen (Pflege- und Altenheime, Seniorenresidenzen). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt etwas mehr als 2 Jahre.

Wie haben unsere Senioren, die in Pflegeheimen leben, die Notfallmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus erlebt? Unia versuchte, dies durch einen soziologischen und juristischen Ansatz zu verstehen. Zwischen Oktober 2020 und Februar 2021 wurden 80 Interviews mit Fachleuten geführt (Direktionen von Altenheimen und ÖSHZs, Anwälte, Personal von NROs und Verbänden, Gerontologen usw.).

Zu viel Spielraum für Pflegeheime

Die Regierung hat unverbindliche Leitlinien herausgegeben und den Pflegheimen überlassen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen selbst zu bewerten. Der Ernst der Lage, die Angst und der Mangel an Mitteln und Personal haben dazu geführt, dass übermäßig strenge Maßnahmen genommen wurden, die zur Verletzung der Rechte der Bewohner geführt haben.

Fehlende Analyse und Einschätzung der Konsequenzen

Die Fülle der Richtlinien und ihre Auslegung haben zu großen Missverständnissen unter den Fachleuten geführt. Darüber hinaus sind sie der Meinung, dass die Folgen der Eindämmungsmaßnahmen von den Behörden nicht wirklich ex ante analysiert wurden, obwohl sie - insbesondere ethische - Fragen aufwerfen. Sie haben die soziale, emotionale und physische Isolation (Verbot von Besuchen, Unterdrückung von Aktivitäten, Einnahme von Mahlzeiten im Zimmer usw.) mit dem Risiko von Angstzuständen, einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands, Aggressivität und emotionaler Destabilisierung verbunden. Einige Pflegeheime sind mit Depressionen und sogar Selbstmordversuchen von Bewohnern konfrontiert worden.

Verletzung der Grundrechte

Die Belastungen des Lock-Downs und die Einschränkung der Freiheiten haben zwar alle Bürger getroffen, aber die Bewohner von Pflegeheimen waren davon stärker betroffen. Der Schutz der Allgemeinheit ging auf Kosten ihrer individuellen Rechte. Bereits bestehende Isolation wurde verstärkt und führte zu einem "sozialen Tod" der Bewohner.

Die Befragten waren der Ansicht, dass die Autonomie der Bewohner, ihr Wille oder ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zum Nachdenken angesichts eines einseitig durch Rechtsnormen festgelegten Zwecks missachtet wurden.

Bewohner von Pflegeheimen wurden während des Lockdowns (manchmal sogar gewaltsam) eingeschlossen, weil sie aufgrund ihres Alters als besonders gefährdet galten. Maßnahmen, die allein auf dem Vorwand der altersbedingten Gebrechlichkeit basieren führen jedoch dazu, dass der Mensch hinter dem Bewohner in Vergessenheit gerät. Die auferlegten Einschränkungen haben daher die Individualität der Bewohner in Zweifel gestellt und markierten ungewollt den Einzug von Ageismus (potentielle Altersdiskriminierung) in die öffentlichen Entscheidungen.

„Diese Pandemie hat deutlich gemacht, wie sehr die Menschenrechte voneinander abhängen, aber auch die Spannungen zwischen ihnen und die Schwierigkeiten, sie miteinander in Einklang zu bringen und auszugleichen. Dabei wurden einige der Grenzen des derzeitigen Wohnpflege-Modells aufgezeigt, gleichzeitig aber auch, dass die Akteure Solidarität, Engagement und Reaktionsfähigkeit bewiesen und sich teilweise von der Tendenz der Zersplitterung des Gesundheitssystems als Ganzes gelöst haben. Schließlich hat die Pandemie gezeigt, dass es notwendig ist, von einem "Dienstleistungsmodell" zu einem "Modell des Dienstes am Menschen" überzugehen. Im Jahr 2050 wird jeder sechste Mensch in unserer Gesellschaft über 65 Jahre alt sein. Die Pandemie bietet uns die Möglichkeit, einen neuen Prozess zu hin zu einer 'neuen Normalität' zu entwickeln", so die Direktion von Unia abschließend.

Unia ist eine unabhängige öffentliche Einrichtung, die Diskriminierung bekämpft und die Gleichstellung in Belgien fördert. Wir verteidigen die gleichberechtigte und inklusive Beteiligung aller in allen Bereichen der Gesellschaft. Und wir sorgen dafür, dass die Menschenrechte in Belgien geachtet werden.